Kay Belasus aus Nordfriesland war im Frühjahr vier Wochen lang in der ukrainischen Hafenstadt Mykolajiw für das Internationale Rote Kreuz im Einsatz.
Text von Maike Krabbenhöft
Seit dem 24. Februar führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Derzeit besonders umkämpft ist Mykolajiw im Süden des Landes. Kay Belasus aus Nordfriesland kennt die Hafenstadt, denn er war dort im Frühjahr vier Wochen lang für das Internationale Rote Kreuz im Einsatz. "Zu dem Zeitpunkt war die Front 15 Kilometer entfernt", erzählt der Notfallsanitäter. Vom Balkon seiner Unterkunft aus - einem ehemaligen Hotel - habe er den Rauch sehen können. Von den knapp 500.000 Einwohnern sei bereits die Hälfte auf der Flucht gewesen.
"Wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas tun kann, mache ich es."
Wie gefährlich die Situation vor Ort war, sei ihm durch seine Erfahrung als Bundeswehrsoldat bewusst gewesen, erklärt er - auch seine Familie habe natürlich Bedenken gehabt. "Doch wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas tun kann, mache ich es", erklärt er, warum er dennoch ins Kriegsgebiet gefahren ist. Damals sei Mykolajiw zweimal am Tag beschossen worden, erinnert er sich: "Den ersten Luftalarm gab es zwischen 2 und 6 Uhr morgens." Sobald die Wände gewackelt und die Scheiben geklirrt hätten, sei er zum Schutz in den Keller gegangen. Die ursprünglich für ihn vorgesehene Aufgabe, Verwundete von der Front oder militärischen Checkpoints zum Krankenhaus zu transportieren, sei an der ukrainischen Verwaltung sowie der fehlenden Kooperation durch die Russen gescheitert, erzählt er.
Erste-Hilfe-Kurse, Krankentransporte und Trinkwasserverteilung in Tankwagen und Stadtbussen
Stattdessen hätte er Erste-Hilfe-Kurse gegeben, Krankentransporte begleitet und beim Verteilen von Trinkwasser in Tankwagen oder Stadtbussen geholfen. "In Mykolajiw hatten wir die ersten 14 Tage gar kein fließendes Wasser, danach wurde Flusswasser in das Rohrnetz eingeleitet", berichtet er. Dabei erinnert er sich an eine 95-jährige Frau, die jeden Tag mit mehreren Kanistern Wasser geholt habe. Auf den Hinweis, dass sie die Stadt doch verlassen und auf diese Strapazen verzichten könnte, "hat sie nur gemeint, dass sie nicht gehe, weil sie sich nichts von den Russen wegnehmen lassen wolle", erzählt Kay Belasus. "Die Ukrainer lassen sich nicht vertreiben. Selbst wenn ihr Militär den Krieg verlieren sollte, werden sie nicht aufgeben und an jeder Straßenecke Widerstand leisten", zeigt er sich überzeugt.
Von knapp 500.000 Einwohnern bereits die Hälfte auf der Flucht
Den Menschen gehe es schlecht, aber sie seien unheimlich tapfer und würden versuchen, ihren Alltag so normal wie möglich weiterzuleben, erzählt er. "Supermärkte waren geöffnet und es war alles zu haben, nur die Abgabe von Diesel war auf fünf Liter pro Tag limitiert", sagt er. Allerdings hätten viele Ukrainer ihre Arbeit verloren und dadurch kein Geld mehr. Für ein befreundetes Paar vor Ort, das arbeitslos geworden ist, habe er daher privat Spenden für eine Autoreparatur gesammelt. Im Gegenzug hätten die Helfer viel Dankbarkeit in Form von kleinen Geschenken wie einem ukrainischen Flaggenabzeichen oder Gesten erfahren: "Zum Beispiel haben Schauspieler uns eine einstündige Show gegeben." Kay Belasus arbeitete in einem Team mit fünf Deutschen sowie vier Israelis, die fließend Russisch sprachen. "Unsere Arbeitssprache war Englisch, aber das sprechen nur junge Ukrainer - Russisch dagegen alle", erzählt er. Jeden Morgen seien sie nach dem Frühstück zum Büro des Ukrainischen Roten Kreuzes gefahren, das ihnen Fahr- und Versorgungsaufträge vermittelt hätte. Dabei passierten sie viele Checkpoints, bei denen Papiere kontrolliert wurden: "Es gab zu der Zeit Probleme mit jungen russischen Saboteuren", erklärt er. In ihrem Krankenwagen wurden sie meist problemlos durchgewunken.
"Das war eine sehr prägnante Erfahrung, die nahe ging."
Ein sehr tragischer Auftrag ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. "Wir bekamen den Anruf eines Schwerverwundeten, dem die Beine durch eine Granate abgerissen worden waren", erzählt Kay Belasus. Der Zivilist habe inständig darum gebeten, dass sie ihn abholen. Das Rote Kreuz habe in einer Sicherheitskontrolle zivile sowie militärische Stellen nach dem genauen Verlauf der Front befragt. "Zunächst hieß es, dass sein Standort sicher sei und wir losfahren könnten", erzählt er. Am Ende wurde doch keine Freigabe erteilt, da die Russen bereits im Ort gewesen seien. "Das war eine sehr prägnante Erfahrung, die nahe ging", sagt er. Die Erlebnisse in Mykolajiw hätten ihn geerdet und gezeigt, wie gut es ihm gehe, meint Kay Belasus, der mit Unterstützung seiner Familie wieder helfen würde. Während seiner Abwesenheit sei seine Frau allein für den Alltag verantwortlich gewesen, "aber bei Problemen hätte sie jederzeit Ansprechpersonen beim DRK gehabt", betont er. Zudem habe er gut Kontakt zu ihr und den zwei Kindern halten können: "Das Internet hat in der Ukraine gut funktioniert und die Handyverbindung war besser als in Deutschland", erzählt er.